Newsletterserie neue Schätzungsanleitung: Bericht 1 Ertragswert – Grundsätze und Bedeutung

22.02.2018

Der landwirtschaftliche Ertragswert ist ein zentraler Begriff aus dem bäuerlichen Bodenrecht und aus dem Familienrecht. Er kommt zur Anwendung, wenn ein Erbe ein landwirtschaftliches Gewerbe (mindestens 1.0 SAK) zur Selbstbewirtschaftung übernehmen will. Der Ertragswert ist eine betriebswirtschaftliche Kennzahl zur Bewertung eines Unternehmens. Der Wert basiert auf dem erwirtschafteten oder zukünftigen Ertrag des Betriebes.

Revidierte Schätzungsanleitung
Die Schätzung des Ertragswertes in der Praxis erfolgt nach Normen. Mit der so genannten Einzelbewertungs­methode, die seit 1979 angewendet wird, werden die Elemente eines Landwirtschaftsbetriebes (Boden, Ökonomie­gebäude, Wohnhaus, Remise, Obstanlage usw.) einzeln bewertet und wie im Baukastensystem zusammengefügt. Die eben revidierte Schätzungsanleitung stützt sich auf Buchhaltungsdaten der Jahre 2009 bis 2014 sowie auf Prognosewerte bis ins Jahr 2024. Die Revision wurde notwendig, weil sich die Produktionsvoraussetzungen sowie das wirtschaftliche Umfeld der Betriebe geändert haben. Die Betriebe sind grösser geworden, ihre Leistungs­fähigkeit ist gestiegen und das Zinsniveau war noch nie so tief wie jetzt. Die neue Schätzungsanleitung gilt ab dem 1. April 2018. Generell werden die Ertragswerte um 10 bis 20 % ansteigen.

Ertragswert als zentrale Grösse
Die gesetzliche Grundlage zum Ertragswert findet sich in Artikel 10 des bäuerlichen Bodenrechts. Er bestimmt den Preis, zu dem ein geeigneter Erbe die Zuweisung eines landwirtschaftlichen Gewerbes zur Selbstbewirtschaftung verlangen kann. Neben dieser erbrechtlichen Bestimmung kommt der Ertragswert in folgenden Situationen zur Anwendung:

  • Richtgrösse beim Verkauf landwirtschaftlicher Gewerbe zur Selbstbewirtschaftung an ein Familienmitglied.
  • Grundlage zur Festlegung der Belastungsgrenze. Diese liegt in der Regel 35 Prozent über dem Ertragswert.
  • Basis für die Pachtzinsbestimmung landwirtschaftlicher Grundstücke und Gewerbe.
  • Grundlage für die Wertbestimmung eines landwirtschaftlichen Gewerbes bei der güterrechtlichen Auseinander­setzung (Scheidung).
  • Ansatzpunkt für die Festlegung des Vermögenssteuerwerts (Im Kanton Aargau basiert der Steuerwert für landwirt­schaftliche Betriebe auf der Schätzungsanleitung aus dem Jahre 1996).
  • Basis zur Bestimmung des landwirtschaftlichen Eigenmietwertes und somit Grundlage für die Wohnrechts­bewertung.

Der Ertragswert umfasst die Liegenschaft einschliesslich der mit den Gebäuden fest verbundenen Einrichtungen. Nach einer Investition in landwirtschaftliche Gebäude und Anlagen nimmt auch der Ertragswert zu, allerdings in einem bedeutend kleineren Ausmass. Dieser Unterschied zwischen Investitionsbetrag und Ertragswerterhöhung ist insbesondere bei Landkäufen sehr gross.

Im Ertragswert kommt die Wirtschaftskraft eines Betriebes objektiv zum Ausdruck. Diese Bewertung gilt ausschliesslich für Veräusserungen innerhalb der Familie. Verkäufe an Dritte erfolgen zum Verkehrswert. Dieser übersteigt den Ertragswert um ein Vielfaches.  

Die Zeit wird knapp
Die revidierte Schätzungsanleitung führt zu höheren Ertragswerten und somit auch zu höheren Übergabewerten in der Familie. Wer seinen Betrieb noch nach den alten Schätzungsnormen übergeben möchte, für den wird die Zeit langsam knapp, denn ab dem 1. April 2018 gilt das neue Schätzungsreglement. Hofübergabeverträge müssten somit noch vor diesem Stichdatum im Grundbuch eingetragen sein.

Jörg Mühlebach, Leiter Agrarwirtschaft
Landwirtschaftliches Zentrum Liebegg