v.l.n.r. Ralf Bucher, Roland Michel, Toni Suter, Christoph Hagenbuch, Lotti Baumann, Lukas Siegrist, Andy Steinacher, Ruedi und Dominik Donat

Agrarinitiativen: Importe statt Qualität aus der Region

23.04.2021

Die Aargauer Landwirtschaft und vor allem Gemüse-, Obst- und Weinbaubetriebe wären massiv betroffen von einer Annahme der beiden Agrar-Initiativen, die am 13. Juni an die Urne kommen. Die grossen Verlierer wären die Natur, die Konsumenten und auch viele Biobetriebe, wie das kantonale Komitee gegen die Agrar-Initiativen betont.

«Die Aargauer Bäuerinnen und Bauern wollen Teil der Lösung sein und mithelfen, die umweltrelevanten Auswirkungen der Landwirtschaft weiter zu minimieren», hielt Christoph Hagenbuch, der neue Präsident des Bauernverbands Aargau BVA, unmissverständlich fest. Der Landwirt und Grossrat trat gemeinsam mit Exponenten der Aargauer Landwirtschaft an der Medienkonferenz des kantonalen Komitees «2 x Nein zu den extremen Agrarinitiativen» auf. Diese fand auf dem Biohof der Familie Donat in Wohlen statt.

Pestizidgesetz ist wirksamer
Hagenbuch ist überzeugt, dass die Mitglieder des BVA das neue, strenge Pestizidgesetz mittragen, das National- und Ständerat in der Frühjahrssession verabschiedet haben. Dieses Gesetz sei wirksamer und konsequenter als die beiden Agrar-Initiativen. Die Risiken beim Einsatz von Pflanzenschutzmittel müssten etwa bis 2027 um 50 Prozent vermindert werden. Dies ist ambitiös, weil die Landwirtschaft in den letzten zehn Jahren die Einsatzmengen bereits um 40 Prozent reduziert und auf biologische Mittel umgestellt hat. Immer ökologischer und nachhaltiger zu werden, und gleichzeitig die hohen Anforderungen des Handels zu erfüllen, sei eine riesige Leistung, hielt Hagenbuch fest.

Aargauer Landwirtschaft ist versorgungsrelevant
«Ich bin stolz auf die Leistung der Aargauer Bauernfamilien. Mit rund zehn Prozent trägt der Agrarkanton Aargau massgeblich zur Versorgungssicherheit unseres Landes bei», sagte Hagenbuch, und führte weiter aus: «Das scheint aber aktuell niemanden zu interessieren – trotz der Corona-Krise, die uns gerade vor Augen führt, wie wichtig eine eigenständige Versorgung ist.» Es werde einzig darüber geredet, wie viel Pflanzenschutzmittel und Gülle die Landwirtschaft ausbringe. Beides sei elementar für die Ernährungssicherheit. Zum einen müssten die Pflanzen geschützt und dadurch die Ernte gesichert werden, zum anderen sei Gülle ein hervorragender, natürlicher Nährstoff für die Kulturen.

Trinkwasser ist von höchster Qualität
«Über das richtige Mass kann man sich tatsächlich streiten», gibt sich Hagenbuch dialogbereit. Er betont aber, dass die Landwirtschaft seit Jahren grosse Anstrengungen unternehme, um immer ökologischer und nachhaltiger zu werden: «Die Schweizer Landwirtschaft gehört weltweit zu den nachhaltigsten der Welt». Auch wenn reisserische Schlagzeilen einem etwas anderes weismachen wollten, sei das Trinkwasser in der Schweiz von hervorragender Qualität und bedenkenlos geniessbar.

Hackroboter helfen dem Gemüsebau Pflanzenschutzmittel zu reduzieren
«Niemand setzt einfach so Pflanzenschutzmittel ein», hielt Toni Suter, Präsident der Aargauer Gemüseproduzenten, fest und ergänzte: «Mit Pflanzenschutzmitteln sichern wir unsere Ernte, wenn alle anderen Schutzmassnahmen ausgeschöpft sind.» Der Gemüsespezialist hat grosse Erfahrung, sowohl beim biologischen wie auch beim konventionellen Gemüsebau. Für ihn ist klar: «Jede Anbaumethode hat ihre Vor- und Nachteile. Die Gemeinsamkeit liegt im nachhaltigen Umgang mit der Natur».

Suter betont, dass die Aus-und Weiterbildung im Bereich Pflanzenschutz zentral sei: «Pflanzenschutz darf nur von ausgebildeten Profis ausgeführt werden. Die wissen, wie man die Pflanzenschutzmittel sehr gezielt, und dank modernster Technologie auf ein Minimum dosiert, ausbringt.» Grossen Wert lege man zudem auf richtige Einrichtungen für das Befüllen und Reinigen der Spritzen. Der Kanton Aargau sei hier führend in der Schweiz. Die ersten Reinigungsplätze seien hier entwickelt worden.

Um den optimalen Zeitpunkt zu eruieren und beispielsweise keine Insekten zu gefährden, gibt es heute Prognoseinstrumente und gute Erfahrungswerte. Weiter helfen der geschützte Anbau oder Hackroboter, die präzise und nachhaltig das Unkraut bekämpfen.

Die Folgen einer Annahme der Initiativen illustrierte Suter mit einem eindrücklichen Beispiel: «Es ist fraglich, ob in der Schweiz noch Brokkoli angebaut werden könnte. Denn ohne Pflanzenschutz gibt es bei der heiklen Pflanze im Sommer kaum Erträge. Wir würden den Brokkoli dann einfach importieren. Und die Importware wäre mit Mitteln behandelt, die in der Schweiz verboten sind.»

Absatzförderung für robustere Obst-Sorten
Andy Steinacher, Präsident des Verbandes Aargauer Obstproduzenten, betont die Bedeutung des Aargaus als Produzent von Kern- und vor allem Steinobst: «Bei den Zwetschgen und Kirschen ist der Aargau der zweitwichtigste Lieferant in der Schweiz. Obstbäume in allen Produktionsformen, also auch im Bioanbau, sind auf Pflanzenschutzmittel angewiesen. Wir bekämpfen bereits viele Schädlinge mit Nützlingen und Verwirrungstechniken mit Lockstoffen. Diese Massnahmen müssen aber teilweise mit Pflanzenschutzmitteln ergänzt werden.

Die heute vom Konsumenten gewünschten Hauptsorten Gala, Golden und Braeburn sind krankheitsanfällige Sorten. Steinacher: «Hier braucht es ein Umdenken des Handels und der Konsumenten: Weg von den krankheitsanfälligen Sorten hin zu robusteren Sorten. Dann geht der Einsatz von Fungiziden automatisch zurück.» Werde der Pflanzenschutz quasi verboten, würde vor allem auch die Haltbarkeit der Früchte geringer, was zu viel mehr Food Waste führe. Die regionale Produktion würde um schätzungsweise 40 Prozent sinken und durch Importe ersetzt, die weniger nachhaltig seien.

Ohne Pflanzenschutz kein Wein
Ähnlich sieht die Situation im Weinbau aus. Roland Michel, Präsident des Branchenverbandes Aargau Wein, betont, dass es insbesondere ohne Fungizide nicht möglich sei, Reben anzubauen. Der Trend der Pilzwiderstandsfähigen Sorten (PIWI) nehme zu. 40 Prozent der Neuanpflanzungen im Aargau seien PIWI-Sorten. Michel: «Aber die Konsumentinnen und Konsumenten müssen diese neuen Sorten auch kaufen.» Wie bei Obst und Gemüse bestimme auch beim Wein die Nachfrage die Produktion. Wer wolle, dass die Landwirtschaft nachhaltiger und ökologischer produziere, könne dies mit seinem Konsumverhalten steuern.

Zum Schluss strich Michel die Bedeutung des Weinbaus im Aargau heraus: «In jeder dritten Gemeinde werden Reben angebaut. Die Rebberge an den Südhängen prägen seit Jahrhunderten unsere Landschaft und unsere Naherholungsgebiete. Mit einer Annahme der Initiativen würden viele Weinberge verschwinden. Denn ohne Pflanzenschutz wären viele Winzer nicht mehr konkurrenzfähig und müssten den Weinbau aufgeben. Der Wein würde dann einfach importiert.»

Keine Direktzahlungen, keine Biodiversität
Alle Exponenten des kantonalen Komitees «2 x Nein zu den extremen Agrarinitiativen» betonen, dass bei einer Annahme der Trinkwasser-Initiative die allermeisten ihrer Produzenten keine Direktzahlungen mehr erhalten würden. Unter den extremen Anforderungen der Initiativen könnten sie Obst, Gemüse und Wein nicht mehr in ähnlicher Menge und hoher Qualität produzieren. Sie würden aus ökonomischen Gründen gezwungen, auf ihren extensiven Blumenwiesen wieder Kulturen anzubauen. Viele Hochstammbäume würden wohl gefällt werden, weil sich deren Pflege nicht mehr lohnen würde.

Viel Herzblut für die Natur
Lotti Baumann, Präsidentin der Aargauer Landfrauen, erlebt eine zunehmende Frustration in der Landwirtschaft: «Die Bauernfamilien engagieren sich während 365 Tagen im Jahr für das Wohl ihrer Tiere und einen sorgsamen Umgang mit der Natur. Und jetzt müssen sie sich von Laien vorschreiben lassen, wie sie ihre Arbeit zu tun haben.» Baumann erkennt einen krassen Widerspruch zwischen den Anforderungen an die Bauern und dem Konsumverhalten: «Leute, die niemals einen Apfel mit Schorfflecken kaufen würden, wollen die Landwirtschaft an der Urne zum Verzicht auf Pflanzenschutz verdonnern.»

Anstatt das Konsumverhalten zu hinterfragen, würden einseitig nur die Bauernfamilien in die Pflicht genommen. Dabei hätten diese einen enormen Leistungsausweis vorzuweisen. Der Antibiotikaeinsatz sei in den letzten zehn Jahren um über 50 Prozent reduziert worden. Und die Flächen zur Förderung der Artenvielfalt seien in den letzten zehn Jahren verdoppelt worden. Im Aargau sei mehr als jede sechste Hektare für die Natur reserviert. «Die Initiativen torpedieren die laufenden Bemühungen eher, anstatt sie zu beflügeln», gibt Baumann zu bedenken.

Biobauern sind gegen die Trinkwasser-Initiative
«Ich freue mich über das klare Nein von Bio Suisse zur Trinkwasser-Initiative», sagt Lukas Siegrist, Co-Präsident des nationalen Nein-Komitees der Biobauern. Zahlreiche Biobauern sagen wie er Nein zur Trinkwasser-Initiative. Siegrist kritisiert die Fokussierung auf die Landwirte als Problemverursacher, während die Konsumentinnen und Konsumenten sowie die Wertschöpfungskette nicht in die Verantwortung genommen werden. Die Bauern würden sich nach dem Markt richten und das produzieren, was die Konsumenten wollen. Siegrist: «Wenn mehr Bio nachgefragt wird, dann stellen mehr Betriebe um, so einfach ist das!»

Zu wenig Bioeier und Biopoulet
Dominik und Ruedi Donat, die Gastgeber der Medienkonferenz, wären mit ihrem Betrieb von der Trinkwasser-Initiative besonders betroffen. Die Initiative verlangt unter anderem, dass nur noch Landwirte Direktzahlungen bekommen, die nicht mehr Tiere halten, als sie mit betriebseigenem Futter versorgen können. Die vor fünf Jahren begonnene Junghennenaufzucht müsste mangels eigenen Futters wieder aufgegeben werden. Die Bewirtschafter vom Bollhof müssten ihren Tierbestand massiv reduzieren und die Geflügelhaltung wieder einstellen.

Die Folgen sind absehbar: Die inländische Produktion von Bio-Eiern und Bio-Poulet aber auch Bio-Schweinen würde abnehmen, die Preise im Detailhandel entsprechend steigen. Weniger konsumiert würde deswegen aber nicht. Der Bedarf würde einfach mit Importen oder von konventionellen Betrieben gedeckt, die aus dem System des Ökologischen Nachweises ausgestiegen sind und keine ökologischen Verpflichtungen mehr hätten.

15'000 Arbeitsplätze im Aargau gefährdet
Zusammengefasst sind sich alle Anwesenden einig: Die Initiativen sind zu extrem und ignorieren die Leistungen, welche die Landwirtschaft bereits erreicht hat und die Entwicklung, die sie mit griffigen und verbindlichen Aktionsplänen für die Zukunft geplant hat. Die Initiativen schiessen übers Ziel hinaus, am Markt vorbei, verteuern die Lebensmittel massiv und bringen der Umwelt nichts. Im Gegenteil. Verlierer wären die Bauernfamilien und mit Ihnen die Biodiversität, die zurückginge. Verlierer wären aber auch die Konsumentinnen und Konsumenten, die für die künftig kleinere Auswahl an Lebensmittel tiefer ins Portemonnaie greifen müssten. Der Aargau würde eine wertschöpfungsstarke Landwirtschaft aufs Spiel setzen und rund 15’000 Arbeitsplätze gefährden. Aus alle diesen Gründen endete die Medienkonferenz mit einem klaren Apell: Wer nachhaltig denkt, stimmt zweimal Nein!

Ralf Bucher
Geschäftsführer